Bei Demonstrationen klaffen regelmäßig die Schätzungen der Teilnehmerzahlen von Polizei und OrganisatorInnen auseinander. Es ist ein Kampf um die Zahlen, in dem beide Seiten ihre Botschaft unterstützen wollen. Für Medien eine schwierige Situation, sind sie doch (in der Regel) um eine objektive Berichterstattung bemüht.
Sowohl die Zahlen der OrganisatorInnen als auch der Polizei basieren auf deren eigenen Schätzungen. Zwei klassische Methoden sind dabei das Hochrechnen über die Fläche bzw. über die Länge. Die erste kommt in der Regel bei „stehenden“ Veranstaltungen, die zweite bei sich bewegenden (z.B. Demos oder Umzüge) zur Anwendung.
Das Problem der (klassischen) Schätzungen
Bei der Flächenhochrechnung werden die Personen gezählt, welche sich auf einer Fläche (z.B. einem Platz oder einer Kreuzung) bekannter Größe aufhalten. Danach rechnet man diese Personenanzahl hoch auf die „gesamte“ Fläche der Veranstaltung (Kundgebung, Demonstration, Umzug, …). Bei der zweiten Methode wird die Personenanzahl gezählt, welche in einem gewissen Zeitabschnitt an der Zählstelle vorbeigeht. Diese Zahl wird dann mit der Dauer der gesamten Veranstaltung hochgerechnet.
Beide Methoden erklären bereits, warum sie sicher nicht genau sein können. Man nehme beispielsweise ein Konzert. Aus der Luft betrachtet wird die höchste Personendichte direkt vor der Bühne zu finden sein. Vermutlich dicht gefolgt von jener an der Bar. Es gibt praktisch keine Teilfläche auf der die Personendichte gleich ist wie jene der gesamten Veranstaltung.
Dasselbe trifft für die bewegte Veranstaltung zu. Während am Anfang des Zuges die TeilnehmerInnen organisiert und dicht voranschreiten, so zerfledert der Umzug gegen Ende zu.
Selbst ohne mutwillige Absicht zu unterstellen ist es also schwer genau zu schätzen. Kommen zudem noch Interessen dazu, bieten beide Methoden „Handlungsspielraum“ um die Schätzungen angenehmer zu machen. OrganisatorInnen wollen in der Regel möglichst viele Teilnehmende um das Events als Erfolg zu verkaufen. Die Exekutive hingegen hat eventuell Interesse eine Demonstration „herunterzuspielen“. Sollte sie jedoch aus dem Ruder geraten, dann können aber „unerwartet hohe TeilnehmerInnenzahlen“ eine Erklärung sein.
Künstliche Intelligenz als dritte Meinung
Statt sich also darauf zu beschränken “bloß” die beiden Zahlen der OrganisatorInnen und der Exekutive wieder zu geben, hat sich der ORF daher mit dem Problem an die dwh gewandt. Ziel war es, die Personenanzahl bei der Demonstration gegen den Akademikerball möglichst genau zu schätzen. Dazu wurden von der dwh Algorithmen eingesetzt, die auf künstlicher Intelligenz basieren und in der Lage sind Personen zu zählen. Das besondere daran ist, dass dabei keine biometrischen (also personenbezogenen) Daten erfasst werden. Diese Algorithmen wurden gemeinsam mit der TU Wien entwickelt und von der dwh als Software implementiert.
Mittels dieser Software wurde das Videomaterial dieser Demonstration, im Auftrag des ORF, ausgewertet. Dass das Ergebnis der Computer-Zählung diesmal relativ nahe an der Schätzung der Exekutive liegt, ist technisch gesehen reiner Zufall. Das ist vergleichbar mit dem Besuch im Casino. Wenn der Einsatz auf Rot mit einem Gewinn belohnt wird, heißt das noch lange nicht, dass immer Rot gewinnt.
Um allgemeingültige Aussagen zu treffen, müsste die Software bei einer Vielzahl von Veranstaltungen angewandt werden. Idealerweise müssten sich auch die Veranstaltungen und Örtlichkeiten unterscheiden. Denn ein Faschingsumzug in Villach, ein Bruce Springsteen Konzert im Praterstadion und die Angelobung des US Präsidenten im Washington haben gänzlich andere Charakteristika.
Für eine objektive Berichterstattung ist eine (zusätzliche) objektive Schätzung jedenfalls begrüßenswert. Aber es ist auch klar, dass auch diese objektive Schätzung verwendet werden wird um die eigene Botschaft zu transportieren.
In diesem Sinne laden wir sie herzlich ein zu unserer Veranstaltung am 23. Mai, wo es um autonomes Fahren, Videoüberwachung und Künstliche Intelligenz geht.
Denn wie heißt es so schön? Glaube keiner Statistik, die du nicht verstanden hast!
Anmerkung (31.1.2019, 19:45):
Dieser Artikel wurde aufgrund der aktuellen Medienberichterstattung erweitert, so dass Interessierte ein vollständigeres Bild über die technischen Möglichkeiten und Probleme in der Berichterstattung erhalten.
Originaler Artikel
Bei Demonstrationen klaffen regelmäßig die Schätzungen der Teilnehmerzahlen von Polizei und OrganisatorInnen auseinander. Es ist ein Kampf um die Zahlen, in dem beide Seiten ihre Botschaft unterstützen wollen. Für Medien eine schwierige Situation, sind sie doch (in der Regel) um eine objektive Berichterstattung bemüht.
Statt sich darauf zu beschränken “bloß” die beiden Zahlen der OrganisatorInnen und der Exekutive wieder zu geben, hat sich der ORF daher mit dem Problem an die dwh gewandt.
Gemeinsam mit der TU Wien entwickelte die dwh Algorithmen die auf künstlicher Intelligenz basieren und in der Lage sind Personen zu zählen - ohne biometrische Daten zu erfassen. Diese Algorithmen wurden von der dwh für den ORF implementiert und bei der Demo anlässlich des Akademikerballs erstmals zur Objektiven Teilnehmerzählung eingesetzt.