Update zu Zielen der Modellierung von COVID-19 in Österreich mit den präsentierten Folien
Autoren: Niki Popper, Martin Bicher, Dominik Brunmeir, Claire Rippinger, Christoph Urach, Nadine Weibrecht, Melanie Zechmeister; TU Wien, DEXHELPP, dwh GmbH
Die Folien wurden leider im Rahmen der Pressekonferenz am 19.2.2021 nicht dargestellt. Aus diesem Grund haben wir versucht, die Folien mit den Daten Stand 18.2.2021 zusammen zu fassen. Update der Struktur 22.2.2021
Limitierung: Die angegebenen Beispiele sind im Zusammenhang mit der Pressekonferenz am 19.2.2021 zur Veranschaulichung des Potentials der Analysen und Modelle gedacht. Aus diesem Grund sind eine Reihe an Annahmen und Einschränkungen nicht in den Folien dokumentiert. Bitte vor Verwendung von Zahlenwerten oder der Ableitung konkreter Aussagen unbedingt Rücksprache halten, um Missverständnisse zu vermeiden. Bei Fragen per Mail an: nikolas.popper@tuwien.ac.at
Folie 3: Aktuelle Prognose der täglichen Fallzahlen mit Stand 18.2.2021
Die aktuelle Prognose zeigt einen leichten Anstieg der positiv Getesteten. Dabei kommt es weiterhin zu unterschiedlichen Tageszahlen. Diese werden in den Modellen so weit möglich herausgemittelt. Der aktuelle Report ist jeweils auf der Homepage des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu finden.
Folie 4: Belagsprognose der Intensivstationen mit Stand 18.2.2021
Betrachtet man andere Maßzahlen, zeigen sich Unterschiede zu der Dynamik im Frühling 2020 und aktuelle Entwicklungen, auf die wir genau achten müssen. Die Belagsprognose der Intensivbetten (ICUs) bleibt seit längerer Zeit de facto stabil, sinkt aber auch nicht. Dies unterscheidet sich zu früheren Phasen der Pandemie, in denen mit einem gewissen Zeitverzug die ICUs entsprechend der Fallzahlen gestiegen oder gesunken sind. Die genaue Analyse der Entwicklung in den Krankenhäusern ist ein gutes Beispiel, warum differenzierte Analysen und Modelle für verschiedene Teilaspekte sinnvoll sind. Die Auswertung von R eff zeigt, dass der aktuelle Wert bereits über 1 gestiegen ist.
Folie 5: Systemdynamik der Epidemiekurve im März 2020
Vor knapp einem Jahr haben wir erstmals grundsätzliche Analysen zur Dynamik publiziert. Entsprechend der internationalen Einordnung haben wir dazu auch unterschiedliche Szenarien zum Schlagwort „Flatten the Curve“ berechnet. Dabei war im März 2020 die Vorstellung, dass wir uns mit COVID-19 400 Tage beschäftigen müssen de facto unvorstellbar. Inhaltlich war Kern dieser ersten Analysen, die Frage welchen Effekt eine Reduktion der Kontakte haben würde. Bereits 25% weniger Sozialkontakte – so die Aussage damals – reduzieren die Anzahl der gleichzeitig Infizierten drastisch.
Folie 6: Systemdynamik der Epidemiekurve des vergangenen Jahres, Quelle BMSGPK
Folie 7: Systemdynamik der Epidemiekurve des vergangenen Jahres
Die aktuell gemessene Dynamik in den Fallzahlen (wie sie in Folie 6 dargestellt wird) lässt sich im agentenbasierten Netzwerkmodell historisch nachrechnen. Das bedeutet, dass 8,9 Millionen virtuelle Österreicher*innen alle auf Daten und Zahlen basierten Facts nachsimulieren. In blau sieht man also die simulierte Zahl der positiv Getesteten im Zeitverlauf. Dieser Wert stimmt mit den realen, historischen Werten überein. Dahinter werden dann mit Annahmen und Hypothesen zusätzliche dynamische Aspekte (hier in rot) simuliert. In diesem Fall die Dunkelziffer, bestehend aus den unerkannten Fällen und den jeweils noch nicht gefundenen Personen. In diesem Fall stammen die Hypothesen aus den Studien von Statistik Austria, SORA und internationalen Quellen (siehe C. Rippinger, M. Bicher, C. Urach, D. Brunmeir, N. Weibrecht, G. Zauner, G. Sroczynski, B. Jahn, N. Mühlberger, U. Siebert & N. Popper. Evaluation of undetected cases during the COVID-19 epidemic in Austria. BMC Infect Dis 21, 70 (2021). DOI: 10.1186/s12879-020-05737-6, aktuelle Publikation in Arbeit).
Folie 8: Krankheitsausbreitung im Netzwerkmodell
Das Netzwerkmodell kann also zwar auch Prognosen rechnen, in den meisten Fällen geht es aber darum zu helfen die Dynamik bzw. Wirkmechanismen besser analysieren zu können. Dabei unterscheiden wir zwischen der Krankheitsausbreitung und dem Krankheitsverlauf. Beide Aspekte sind für die gesamte Bevölkerung regional und nach sozio-demographischen Aspekten strukturiert.
Folie 9: Zusammenfassung der Einflussfaktoren im Modell
Folie 10: Zusammenfassung der Einflussfaktoren im Modell
Aktuell beschäftigen sich die Arbeiten mit sieben Bereichen:
- Veränderung der Viruseigenschaften, also z.B. Mutationen
- Maßnahmen: Setzung & Aufhebung
- Interventionen
- Testen & Screenings - Tracen & Isolieren
- Veränderung bei Eigenschaften der Bevölkerung, z.B. natürliche Immunisierung
- Veränderung äußerer Einflüsse, z.B. Saisonalität
- Impfung und Therapie.
Die Schwierigkeit bei der Einordnung der aktuellen Situation besteht im Zusammenwirken dieser dynamischen Effekte.
Folie 11
Beispiele #1 dafür ist eine Analyse von möglichen Pooltestungen in Wien. Dabei ist recht gut zu sehen, dass basierend auf einem Basisszenario (in rot), die Effekte einer konsequenten Testung sehr groß sein können. Dazu müssen aber einige zehntausend Haushalte am Tag getestet werden. Entscheidend ist darüber hinaus, ob die Isolation positiv Getesteter und deren Haushalte schnell erfolgt. Details siehe unter Rippinger C., Bicher M., Brennecke J., Zuber J., Popper N., “Kurzreport zur modellbasierten Evaluierung unterschiedlicher SARS-CoV-2 Screeningstrategien für Wien”.
Folie 12
Diesen Effekt kann man im Modell gut analysieren, wenn man sich die Ausbreitung auf den simulierten Clustern genauer anschaut. Man sieht, dass abhängig von der Geschwindigkeit einer Isolation, entsprechend mehr potenzielle Infektionen vermieden werden (wenn also der „Radius“ in dieser Darstellung kleiner ist).
Folie 13
Beispiel #2: Die Impfung hat aus Modellsicht keinen Effekt auf die Ausbreitung, der für die Entscheidungen aktuell relevant ist (blaue Säulen). Noch ist unklar (wenn es auch vermutet wird) ob Impfen die Transmission reduziert (orange Säulen). Dazu wäre außerdem ein relativ hoher Prozentsatz an Impfungen notwendig, der nicht kurzfristig erreicht werden kann. Die Impfung wirkt sich im Modell zeitnah effektiv auf Hospitalisierung und Mortalität aus. Dazu ist es notwendig, dass schnell und zielgerichtet Alte und Vulnerable geimpft werden. Auch danach ist keine Entwarnung möglich, das Gesundheitssystem wird aber wohl entlastet werden. Nicht notwendig erscheint das Vorziehen systemwichtiger Menschen außerhalb der Gesundheitsberufe, da diese sich schützen können bzw. intensiv getestet werden kann.
Folie 14
Beispiel #3: die zuvor gezeigte Simulation der Dynamik „hinter den gemessenen Zahlen“ ermöglicht eine Abschätzung der bisher Betroffenen. Die Zahl der aktuell, vorläufig Immunisierten inkl. Dunkelziffer, schätzen wir im Modell derzeit mit ca. 1,3 Mio. ab.
Folie 15
Beispiel #4: Aktuell wird diskutiert, wie hoch der Anteil der intensiveren Testungen am gemessenen Anstieg ist. Auch das ist wohl am ehesten eine „dynamische Frage“. Intensiveres Testen erhöht zwar sehr wohl die gemeldeten Zahlen. Allerdings ist dieser Effekt aktuell, auf Grund relativ niedriger Fallzahlen, nicht sehr hoch. Und dieser Effekt sollte sich nach kurzer Zeit stabilisieren und die gemeldeten Zahlen sollten nicht weiter steigen, vor allem wenn die Zahl der Screenings nicht weiter zunimmt. Wenn die gemeldeten Zahlen dennoch weiter steigen, deutet das darauf hin, dass die Isolationsmaßnahmen nicht ausreichend greifen und die Infektionen insgesamt steigen. Fall 3 wäre ideal: dann müssten die Infektionen – bei gut funktionierender Isolationsstrategie – sinken und damit auch zeitverzögert die gemeldeten Zahlen.
Folie 16
Diese vier Beispiele sollen veranschaulichen, wie mit solchen Modellen die Dynamik modelliert werden kann. Prognosen sind dabei nur ein Ziel, häufig stehen Einordnungen von Strategien im Vordergrund. Wichtig sind zwei Aspekte:
- Der laufende Vergleich mit anderen, internationalen Modellen und Studien.
- Die Integration aller zur Verfügung stehender Daten.
Aktuell werden in Österreich, wie auch international, eine sehr große Zahl an Daten erfasst. Entsprechende Datenprozesse und Möglichkeiten zu Verlinkung, sowie die Infrastruktur diese Daten der Forschung in breitem Umfang und transparent zur Verfügung zu stellen fehlen derzeit allerdings noch.