Omikron-Variante: Einschätzung der aktuellen Situation

  • 05.01.2022
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Eine Einschätzung der aktuellen Prognosen und Entwicklungen durch das COVID-19 Simulations-Team

Aktuelle Prognosen und Szenarien zu Omikron

Daten und aktuelle Prognose zeigen, der Anstieg der täglichen Fallzahlen sowie des 7-Tage-Schnittes ist - wie erwartet - hoch. Gleichzeitig versuchen wir aber auch aufzubereiten, welche Evidenz es gibt, wie viele Menschen schwer krank werden, wie internationale Studien österreichische Daten „matchen“, warum die Situation durch einen „Rückfall“ in der effektiven Immunität gegen Infektionen so dynamisch ist oder welche Auswirkungen Quarantäneregelungen haben (können). Das und weitere Aspekte werden für die die aktuellen Schritte entscheidend sein.

Aktuelle Prognose vom 4.1.2022

Heute wurde die aktuelle COVID-19 Prognose vom Prognosekonsortium (unter Mitarbeit von DEXHELPP und der dwh GmbH) veröffentlicht. Das bereits vor Weihnachten prognostizierte, stark beschleunigte Infektionsgeschehen aufgrund der Dominanz der Omikron-Variante hat begonnen und wird sich nun fortsetzen. Details sind der Prognose zu entnehmen. Dies führt innerhalb des Prognosehorizonts auch zu einem Anstieg des Normalpflege-Belags in den Spitälern.

Die Abbildung 1 zeigt die Prognosen des Prognosekonsortiums für die 1) Anzahl der täglichen Fallzuwächse, 2) notwendigen Betten für die Normalpflege und 3) die notwendigen Betten auf den Intensivstationen. Sie alle verzeichnen einen steilen Zuwachs. Abbildung 1: Prognosen des Prognosekonsortiums für die (v.l.n.r.) Anzahl der täglichen Fallzuwächse, notwendigen Betten für die Normalpflege und auf den Intensivstationen (klicken sie hier für eine größere Darstellung).

Die Modellierung der Ausbreitungsdynamik ist seit ein bis zwei Wochen relativ gesichert möglich. Dabei stehen Daten aus Dänemark, Südafrika und anderen Ländern zur Verfügung. Wie schwer Menschen auf Grund der Omikron-Variante erkranken, ist aber noch relativ schwer zu sagen. Wenn auch gute Daten darauf deuten, dass Omikron jedenfalls zu schwächeren Verläufen führt, vor allem bei geimpften und genesenen Menschen. Dennoch ist insbesondere die Belagsprognose mit Vorsicht zu interpretieren.

Welche Grundlagen fließen in die aktuellen Omikron Modelle ein – was ändert sich?

Als Grundlage für die Hospitalisierungsraten ziehen wir in unserem Modell die Technical Briefings des Imperial College London (Stand 31. Dezember siehe [1],[2]) heran. Daraus haben wir folgende Werte als Modellannahmen übernommen:

  • Hospitalisierungsraten für mehr als 1-tägige Aufenthalte sind im Vergleich zu Delta um ca. 40% reduziert – das gilt für alle PatientInnen, inklusive der ungeimpften. Entsprechend haben Geimpfte und Genesene eine noch geringere Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf.
  • Anders sieht die Situation beim Schutz vor Infektionen aus: die Schutzwirkung ist im Vergleich zur Deltavariante stark reduziert. Genesene und 1x Geimpfte haben kaum noch Schutz vor einer Reinfektion, während der Schutz für 2-fach Geimpfte um ca. 66% und bei Geboosterten um etwa 20% reduziert ist.
  • Wie beim Schutz gegen die Deltavariante nimmt dieser zudem mit der Zeit ab.
  • Bei symptomatischen Infektionen ist das Hospitalisierungsrisiko, im Vergleich zu Ungeimpften (und nicht Genesenen), bei 1-facher Impfung um 35% reduziert, bei 2 Dosen um 51% und bei 3-fach Geimpften um 68%.
  • Für Genesene wird nach dieser Studie ein um 60% reduziertes Hospitalisierungsrisiko angenommen.
  • Der Schutz vor Hospitalisierung von positiv getesteten 3-fach geimpften Personen beträgt demnach 68%.
  • Gesamt ergibt sich bei Geboosterten damit eine um ca. 90% reduzierte Hospitalisierungsrate verglichen mit Ungeimpften.

Festzulegen, wie hoch der Anteil der Menschen ist die intensivmedizinische Betreuung benötigen, ist aktuell (noch) schwierig: hier variieren die Werte zwischen „keine signifikante Verbesserung“ und einer „starken Reduktion auf ein Fünftel“.

Insgesamt führen diese Annahmen zu einem Anstieg in der Hospitalisierung, bezüglich der Auslastung der Intensivbetten ist im genannten Prognosezeitraum noch kein Effekt zu erwarten.

Aktuell entwickelt sich die Informationslage durch neue Studien täglich weiter. Deshalb kommt es dazu, dass wir in unterschiedlichen Szenarien manchmal leicht divergierende Annahmen treffen. Die genauen Annahmen sind daher jeweils bei den konkreten Szenarien und Analysen angegeben.

Daten und Parameter validieren

Ein wichtiger Aspekt ist wie immer, dass wir die Modellannahmen laufend und sobald möglich mit den Realdaten aus Österreich vergleichen. Das dauert klarer Weise ein wenig, hilft aber das Modell der virtuellen Bevölkerung immer besser zu machen. In Wien ist Omikron nun schon weiterverbreitet als in anderen Regionen und somit können die „immunitätsbezogenen“ Fallzahlen Aufschluss geben, wie die Situation ist. Man sieht hier sogar bei den Geboosterten, dass der Schutz vor Infektion mit der Omikron Variante offensichtlich zurückgeht.

Abbildung 2 zeigt, dass seit dem Auftreten der Omikron-Variante die Effektivität des Impfschutzes gegenüber einer Infektion merkbar abgenommen hat. Abbildung 2: Durch die Omikron-Variante kommt es zu einem Rückgang des Impfschutzes hinsichtlich Infektionen.

Die (teilweise) verlorene Immunität gegen Infektion

Mit den Annahmen zur Infektionsausbreitung von Omikron haben wir auch ein Update der modellbasierten Abschätzung der effektiven Immunität gegen Infektion (also eigentlich gegen Eintrag ins EMS) berechnet. Hier sieht man, dass ca. 90% der Bevölkerung in Österreich schon einmal „Kontakt“ mit Impfung oder Virus hatten. Gegenüber der Delta-Variante sind etwa 80% gegen eine Infektion geschützt (als Folge der Impfaktivitäten und der November-Welle), gegen Omikron sind es - aus den oben beschriebenen Annahmen resultieren – zurzeit leider nur ca. 55%. Das entspricht in etwa dem Stand von Mitte August - also direkt vor der letzten Welle - als es Omikron noch nicht gab und Delta vorherrschend war. Dieser „Immunitätsstatus“ zusammen mit einer infektiöseren und „schnelleren“ Variante (geringeres serielles Intervall) erklärt, warum die Fallzahlen jetzt so eine starke Dynamik zeigen, aber auch, warum wir nicht wieder am Anfang stehen.

Die Abbildung 3 zeit, dass der effektive Immunisierungsgrad in der Bevölkerung gegenüber der Delta-Variante sehr hoch ist. Er entspricht fast dem theoretischen - also der Summe von genesenen und geimpften Personen. Abbildung 3, links: Effektives Immunisierungslevel der Bevölkerung ggü. Delta Variante; rechts: kumulative Anzahl an genesenen & geimpften Personen.

Aus der Grafik 4 wird sichtbar, dass, im Vergleich zur Delta-Variante, der effektive Immunisierungsgrad in der Bevölkerung gegenüber der Omikron-Variante deutlich schlechter ist. Statt 80% sind nur 55% gegen eine Infektion geschützt. Abbildung 4, links: Effektives Immunisierungslevel der Bevölkerung ggü. Omikron Variante; rechts: kumulative Anzahl an genesenen & geimpften Personen.

Denn auch wenn die Impfung gegen die Ausbreitungsdynamik der neue Variante weniger ausrichten kann, bleibt die wichtigste Eigenschaft der Impfung erhalten: der Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe. Dieser ist nämlich weitaus höher als jener gegen die Ansteckung, wie man in den Studien und Annahmen oben sieht.

Was man bedenken muss…

Auf Grund der höheren Infektiosität, des niedrigeren angenommenen seriellen Intervalls (kürzere Inkubationszeiten) und der beschriebenen Umgehung der Immunabwehr, ist eine Eindämmung jedenfalls schwieriger und ein „Brechen“ der Dynamik (ohne zusätzliche, unterstützende Faktoren wie z.B. der positiven Saisonalität im Frühling) im Modell nur mit sehr starken Maßnahmen zu erreichen. Es ist daher mit wachsenden Fallzahlen zu rechnen, wenn die aktuellen (oder ähnlich) Maßnahmen beibehalten werden. Daraus resultieren unterschiedliche weitere Fragestellungen.

Am wichtigsten ist natürlich die Frage der Belastung der Intensivbetten im Speziellen und der Spitäler im Allgemeinen. Das ist auch im Kontext der medizinischen Betreuung anderer Erkrankungen und Notfälle zu sehen, die zuletzt nur noch limitiert stattfinden konnten. Derzeit sind nach wie vor knapp 15% der Intensivbetten mit COVID PatientInnen ausgelastet. Basierend auf diesem Ausgangspunkt ist es notwendig auch einen niedrigen Anstieg genau zu monitoren.

Bereits bei einer Auslastung von über 10% kommt es zu einer Reduktion in anderen Gesundheits- und Versorgungsbereichen. Dementsprechend ist selbst bei konservativen Szenarien für die nächsten Wochen eine Kombination aus einer „Dämpfung“ der Dynamik und konkreter Unterstützung im Bereich der klinischen Versorgung sinnvoll und notwendig. Darüber hinaus sind andere Gesundheitsaspekte wie Long Covid zu betrachten, wozu weitere Studien und zusätzliche Daten notwendig sind.

Omikron verändert aber auch die Rahmenbedingungen. Ein Beispiel ist die Auswirkung von Quarantäne Regeln. Hier werden in Szenarien unterschiedliche Ausbreitungsgrößen verglichen, um festzustellen welche Regelungen eine Aufrechterhaltung von z.B. kritischer Infrastruktur ermöglichen. Diese Szenarien stellen keine Prognosen dar. Sie dienen dazu Auswirkungen im Worst-Case einzuschätzen und abzuleiten, wie man damit umgehen kann.

Für die Szenarien haben wir die Auswirkung von strengen Regeln (wie sie gegenwärtig etwa in Wien gehandhabt werden) als Basis angenommen. Dabei gehen wir von 14 Tagen Quarantäne für bestätigte positive Fälle aus. 80% testen sich nach 10 Tagen frei und es gilt eine 10-tägige Quarantäne für Haushaltsmitglieder, die nicht selbst positiv werden. Wir nehmen einen Zeitverzug von 1 Tag bis zur Benachrichtigung des positiven Tests an. Freitesten symptomloser K1-Personen im eigenen Haushalt ist nach 5 Tagen nicht möglich. Dieses Setting haben wir mit zwei Lockerungen verglichen:

  1. Gelockerte Quarantäneregelung, mit 10 Tage Quarantäne für bestätigte positive Fälle. 80% testen sich nach 5 Tagen frei und Freitesten nach 5 Tagen von symptomlosen K1-Personen.
  2. Haushaltsquarantäne bei der nur Personen, die sich im selben Haushalt befinden, in Quarantäne gehen und sie können sich nach 5 Tagen freitesten.

Die Abbildung 5 zeigt, dass sich durch eine Änderung der entsprechenden Regelung die Anzahl der gleichzeitig unter Quarantäne stehenden Menschen um 55% reduzieren lässt. Abbildung 5: Durch Änderung der Quarantäneregelung ließe sich die Anzahl der gleichzeitig unter Quarantäne stehenden Menschen um bis zu 55% reduzieren (reine Haushaltsquarantäne).

Durch die Eigenschaften der Omikron-Variante kommt es in der Modellrechnung zu sehr hohen Fallzahlenpeaks und entsprechend zu einer hohen Anzahl an Menschen, die gleichzeitig eine bestätigte Infektion haben (Active Cases). Die eigentliche Höhe dieses „Active Cases Peaks“ ist sehr schwer einzuschätzen, dürfte jedoch bei mehreren hunderttausend Menschen liegen – Prognosen sind de fakto unmöglich. Im Hinblick auf Entscheidungsunterstützung ist jedoch ein anderer Aspekt der Szenarienrechnungen wesentlich wichtiger: das Potential mit lockereren Maßnahmen die Anzahl der unter Quarantäne stehenden Personen zu reduzieren.

In den Szenarien zeigt sich, dass die Zahl der „Betroffenen“ um mehr als die Hälfte reduziert werden kann. Bei gelockerten Quarantäneregeln kommt es zu einer Reduktion der quarantänisierten Personen um ca. 42% und bei reiner Haushaltsquarantäne um ca. 55%. Aber: mit lockereren Quarantäneregeln wird wiederum die Ausbreitung weniger stark eingeschränkt. Diese beiden Effekte muss man bei Entscheidungen gegeneinander abwägen und z.B. mit einer gut organisierten PCR Screening-Strategie begleiten.

Aktuelle Entwicklung und Maßnahmen

Derzeit wird in Österreich eine “moderierende” Strategie im Pandemiemanagement gewählt. Die Zahlen werden im aktuellen Setting steigen. Daher geht es darum im Rahmen dieses “Paradigmenwechsels” viele andere Aspekte zu beachten. Die Omikron-Welle verlangt einerseits klare Kommunikation über Status und Ausblick der Situation, sowie darüber, was mit welchen Schritten erreicht werden kann. Die Erwartung - basierend auf den oben beschriebenen Daten - ist, dass der Hospitalisierungsanteil stark unter den bisherigen bleibt. Das muss sehr genau beobachtet werden. Dennoch (oder umso mehr) ist ein “vernünftiges Management” der Fallzahlen notwendig, wenn man von der bisherigen Strategie abweicht.

Es ist wichtiger denn je Impfanreize zu schaffen und so den Impffortschritt zu ermöglichen. Auf diese Weise könne man Erkrankungen zuvor kommen und die Anzahl schwerer Verläufe weiter reduzieren – und somit das Gesundheitssystem schonen. Weiters geht es darum, die Teststrategie anzupassen. Nicht nur um die Quarantäneregelungen praktikabel und sicher zu gestalten und dennoch Engpässe an Personal, etwa in systemrelevanten Bereichen, zu verhindern. Sondern auch um weiterhin „vulnerable“ Bereiche und Menschen, die keinen Impfschutz aufbauen können, zu schützen. Dazu ist z.B. auch eine sichere Umsetzung des Schul- und Kindergartenbetriebes mit Unterstützung von (PCR-) Tests notwendig. Hierzu ist, im Rahmen der wissenschaftlichen Vernetzung der Future Operations Plattform, gegenwärtig eine Empfehlung in Arbeit, die Ende der Woche veröffentlicht wird.

Weiterst müssen mögliche Auswirkungen von Long COVID oder anderen bisher nicht im Fokus stehenden Aspekten betrachtet werden. Nicht zuletzt ist es notwendig Prozesse im Gesundheitssystem zu adaptieren und ein genaues Monitoring zu etablieren, um die Intensivstationsauslastung mit Covid-19-Patienten unter zehn Prozent zur senken und dann auch zu halten. So kann man aufgeschobene Therapien wieder ermöglichen und in den notwendigen “Regelbetrieb” zurückkehren.


Literatur:

  1. https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1044481/Technical-Briefing-31-Dec-2021-Omicron_severity_update.pdf
  2. https://www.imperial.ac.uk/media/imperial-college/medicine/mrc-gida/2021-12-22-COVID19-Report-50.pdf